Wichtige Heilige Persönlichkeiten und Gelehrte im Alevitentum
Im Folgenden sollen Persönlichkeiten, die im Alevitentum als heilig verehrt werden und wichtige Gelehrte in einer kurz zusammengefassten Biographie vorgestellt werden.
Heilige Persönlichkeiten:
Der Prophet Muhammed (570-632 n.Chr.): Die Aleviten verehren alle Propheten vom Adam bis Muhammed und glauben, dass sie alle das göttliche Licht in sich trugen. Sie haben sehr großen Respekt gegenüber allen Botschaften dieser Propheten, die entsprechend eine hohe Akzeptanz genießen. Die Botschaft von Adam (Adem), Abraham (Ibrahim), David (Davut), Moses (Musa), Jesus (Isa) bis hin zur Botschaft des letzten Propheten Muhammed wird in der alevitischen Religionsauffassung als gleichwertige Gottesoffenbarung betrachtet.
Der Prophet Muhammad wurde um das Jahr 570 n.Chr. in der Stadt Mekka in Arabien geboren. Laut der islamischen Geschichtsdarstellung geht seine Abstammung auf den Propheten Ismael, den Sohn Abrahams zurück. Muhammed wuchs zum größten Teil ohne Eltern auf. Sein Vater (Abdullah) starb bereits vor seiner Geburt. Mit sechs Jahren verlor er auch seine Mutter (Amina). Er wurde erst in die Obhut seines Großvaters gegeben und anschließend von seinem Onkel Ebu Talip aufgezogen. Ebu Talib war der Vater von Imam Ali. Muhammed und Ali waren Cousins, lebten lange Zeit in einem Haus und haben von daher sehr viel Zeit miteinander verbracht. Muhammed heiratete später die Kaufmannswitwe Hatice und bekam mit ihr sechs Kinder. Von diesen sechs Kindern starben einige sehr früh und es konnte nur Fatma, die einzige Tochter des Propheten, die später Ali geheiratet hat, Kinder bekommen. Der Stammbaum von Muhammed ging also über Ali und Fatma weiter. Mit knapp 40 Jahren hat Muhammed sich zum Propheten ausgerufen und starb im Jahr 632 n.Chr. in der Stadt Medina. Während seiner Lebenszeit hat Muhammed, durch die Verkündung der neuen Religion sehr große gesellschaftliche Veränderungen verursacht. Alle alten Machtstrukturen und Privilegien der reichen arabischen Schichten/Stämme hatten sich grundlegend verändert. Die neue Religion brachte auch ein ganz neues Weltbild mit sich, in der z.B. die Sklavenhaltung stark kritisiert wurde und auf einmal dunkelhäutige Menschen zu Glaubensbrüdern erklärt wurden. Ethnische Zugehörigkeiten und die sozialen Sichten spielten keine Rolle mehr, um der neuen Religion beizutreten. Dadurch konnte sich der Islam unter den großen Volksmassen sehr schnell verbreiten. Dieser reine vom Propheten Muhammed verkündete Früh-Islam, hat es geschafft Menschen überall auf der Welt zu vereinen. Je nach historischen Entwicklungen, gesellschaftlichen Bedingungen und geographischen Umständen, wurde diese Religion in vielen Teilen dieser Erde interpretiert, harmonisiert und gelebt. Auch die Aleviten haben den Islam auf ihre eigene Art und Weise interpretiert, mit ihren alten Traditionen in Einklang gebracht und ihr Religionsverständnis von Generation zu Generation weitervermittelt.
Im alevitischen Glaubenssystem spielen Muhammed als Prophet Gottes und Ali als weiser Freund Gottes eine zentrale Rolle. Die beiden werden in der theologischen Wahrnehmung nicht voneinander getrennt, sondern als eine sich ergänzende Einheit angesehen.
Ali (598-661 n.Chr., Er wird von Aleviten auch Imam Ali genannt)
Imam Ali war der Cousin und Schwiegersohn des Propheten Muhammed und ist sowohl für die alevitische als auch für die islamische Geschichte eine zentrale Persönlichkeit. Er war der erste männliche Anhänger Muhammeds und heiratete dessen Tochter Fatma. Nach dem Tode des Propheten im Jahre 632 vollzog sich innerhalb der islamischen Gemeinde eine tiefe Spaltung. Es stellte sich nämlich die Führungsfrage in der Gemeinde. Nach alevitischer Auffassung sollte Imam Ali aufgrund seiner Führungsqualitäten und weisen Persönlichkeit als erster die Gemeinde leiten und war somit der rechtmäßige Nachfolger des Propheten. Die damalige politische Struktur und Machtkämpfe hinderten Imam Ali diese Führungsrolle zu übernehmen. Die Verhinderung dieser Nachfolge war gleichzeitig auch „die Geburtsstunde“ der Aleviten – der Nachfahren und Anhänger Alis. Auch das Wort „Alevit“ leitet sich von seinem Namen ab und bezeichnet die Menschen, die seinen Glaubensweg und Islaminterpretation befolgen.
Imam Ali wurde 598 in der Stadt Mekka geboren und im Jahr 661 ermordet. Die Ermordung von Imam Ali war politisch motiviert und hat die Spaltungen im Islam noch mehr vertieft. Vor allem die Machthaber des Umayyaden-Familienclans, die später auch die Umayyaden-Dynastie errichtet haben, wollten keinen aus der Prophetenfamilie an der Führung der islamischen Gemeinde haben. Die Umayyaden setzten alles in Bewegung, um ihre alten Machtmechanismen und wirtschaftlichen Privilegien, die durch den Propheten Muhammed verändert wurden, wieder zurück zu erlangen. Somit wurden, angefangen mit Imam Ali aber auch die meisten der zwölf Imame (Nachfahren von Imam Ali und dem Propheten Muhammed) nach und nach ermordet. Mit der Zeit hat sich dadurch eine instrumentalisierte Staatsreligion entwickelt, die als Legitimation für die Politik der Herrscher missbraucht wurde. Die Ali Anhänger blieben aufgrund dieser gesellschaftlich-historischen Entwicklungen meist in der Opposition und haben gegenüber den Machthabern der großen Dynastien (Umayyaden Dynastie, Abbasiden Dynastie, Seldschuken Dynastie und Osmanische Dynastie) Wiederstand geleistet, die das sozial schwache Volk und Minderheiten unterdrückt haben. Im Laufe der Geschichte haben sich auch dementsprechend unterschiedliche theologische Strömungen entwickelt, die bis heute in der islamischen Geographie prägend sind. Imam Ali steht z.B. im Sufismus und allgemein in der islamischen Mystik als zentrale Persönlichkeit im Mittelpunkt. Imam Alis theologische Sichtweise und Gedankengut wurden überall von den Menschen in sozial schwachen Schichten gerne empfangen und dienten als Motivationsfaktor gegen Ungerechtigkeiten, die Massen zu mobilisieren. Aufgrund dieser historischen Tatsachen, haben die Aleviten die Verehrung und Liebe zu der Prophetenfamilie (Ehl-i Beyt), zu einer der Grundprinzipien ihres Glaubens gemacht.
Nach der alevitischen Glaubenslehre verfügt keiner über so viel Weisheit, Tapferkeit, Mut, Opferbereitschaft, Widerstandsfähigkeit und Hilfsbereitschaft wie Imam Ali. Er und der Prophet Muhammed stellen im Alevitentum das höchste Beispiel eines vollkommenen Menschen dar. Sie erscheinen in der religiösen Wahrnehmung der Aleviten als eine sich ergänzende Einheit und können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Ein Beispiel dafür ist die bekannte Aussage von Muhammed, die wie folgt lautet:
„Ich bin die Stadt des geistlichen Wissens, Ali ist die Tür dorthin“
(türk. „Ben ilmin sehriyim, Ali de kapisidir“
Tyrannen haben sich vor ihm sowohl zu seiner Lebenszeit, als auch nach seinem Tod gefürchtet. Er ist immer ein Freund der Unterdrückten gewesen und wird in der alevitischen Theologie als Heiliger verehrt und steht somit im Zentrum des Alevitentums.
Fatma Ana (604-632 n.Chr., wird auch Fatima genannt)
Fatma Ana ist die Tochter des Propheten Muhammed aus seiner Ehe mit Khadidscha (türk. Hatice) und wird im alevitischen Glaubenssystem als heilige Mutter verehrt (türk. Ana). Als einziges der Kinder von Muhammed setzte sie die Familie bzw. den Stammbaum des Propheten fort. Leider war den anderen Kindern des Propheten dieses Glück nicht vergönnt. Sie heiratete Imam Ali und aus dieser Ehe stammen die Söhne Hasan, Hüseyin und die Tochter Zeynep. Der Prophet hatte eine sehr intensive Beziehung zu seiner Tochter und liebte sie sehr. Folgendes soll Muhammed über Fatma Ana gesagt haben:
„Fatmas Zufriedenheit ist meine Zufriedenheit. Wer Fatma liebt, liebt mich“
Aus historischer Sicht der Aleviten betrachtet, stellt Fatma Ana die Verbindung zwischen dem Prophetentum und Imamat dar. Da in der gesamten alevitischen Theologie, Terminologie, Tradition und Symbolik die heilige Prophetenfamilie (türk. Ehl- i Beyt) und somit die zwölf Imame eine zentrale Bedeutung haben und Fatma Ana für den Fortbestand dieser Familie sorgte, wird sie sehr geliebt und geschätzt. Ohne sie hätte es die Nachkommen des Propheten Muhammed nicht gegeben.
Aufgrund ihrer Eleganz und Schönheit gab man ihr auch den Beinamen Zehra (Die Dame des Lichtes). Nach dem alevitischen Glauben müssen die Geistlichen der Prophetenfamilie angehören. Von daher gilt Fatma Ana als die Mutter aller Geistlichen im Alevitentum. Ihr wird eine Bedeutung verliehen, ähnlich wie sie z.B. im Christentum Maria, der Mutter Jesu, zukommt.
Nicht nur im Alevitentum, sondern auch in der gesamten islamischen Welt, genießt Fatma Ana eine besondere Verehrung. Insbesondere nach dem Massaker in der Region Kerbela gegen die Mitglieder der Prophetenfamilie und dem Tod von Imam Hüseyin (Enkel des Propheten), wuchs die Ehrfurcht und Respekt vor ihrer Person. Viele alevitische Frauen tragen auch heute noch mit Stolz ihren Namen.
12 Imame (Nachkommen des Propheten Muhammed)
Als Nachkommen des Propheten Muhammed, haben die 12 Imame eine zentrale Bedeutung in der alevitischen Glaubenslehre und Kultur. Sie zählen im Alevitentum zu den heiligen Personen und werden dementsprechend in allen Bereichen der religiösen Praxis hoch verehrt. Nach historischen Thesen und theologischer Betrachtung der Aleviten gelten die 12 Imame als rechtmäßige Nachfolger des Propheten Muhammed, die die Gemeinde nach seinem Ableben als tugendhafte Persönlichkeiten anleiten sollten. Sie gehören der Prophetenfamilie (Ehl-i Beyt) an und sind die einzigen direkten Nachkommen des Propheten Muhammed durch Imam Ali (Schwiegersohn und Cousin von Muhammed) und Fatma Ana (Tochter des Propheten).
Der Glaube an die 12 Imame und ihre Verehrung wird in der alevitischen Terminologie als „Imamat bzw. Velayet“ bezeichnet. Die Reihe der 12 Imame beginnt mit Imam Ali und endet mit Imam Mehdi. Somit ist nach alevitischer Auffassung Ali der erste Imam und gleichzeitig erster rechtmäßiger Stellvertreter des Propheten Muhammeds. Seine Söhne Hasan und Hüseyin sind die nächsten beiden Imame und die restlichen folgen in hüseynischer Reihenfolge, sprich Zeynel Abidin ist der Sohn Hüseyins, Muhammed Bakır der Sohn Zeynel Abidins etc.
Die Aleviten glauben, dass die Imame als heilige, weise, gerechte und gütige Personen den Zustand des Insan-i-Kamil (Vollkommener Mensch) erreicht haben. Sie gelten in der religiösen Wahrnehmung des Alevitentums charakteristisch als schuldlose Personen, die die wahre Lehre vertraten, ihr Leben danach ausrichteten und als Vorbild fungierten. Vor diesem Hintergrund werden die 12 Imame im Gottesdienst (Die Cem- Zeremonie) der Aleviten durch religiöse Lieder (türk. Duvaz-i imam) geehrt. Auch die meisten Kinder der Gläubigen tragen z.B. die Namen eines der Imame. Sie genossen auch während ihrer Lebzeiten ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung und hatten viele Anhänger. Aus diesem Grund stellten die Imame aus der Perspektive der damaligen Machthaber immer eine Bedrohung dar und wurden deswegen verfolgt und ermordet.
Im Folgenden werden die 12 Imame kurz vorgestellt:
Ali (598–661 n. Chr.): wurde in Mekka geboren und ist im Jahr 661 gestorben bzw. ermordet. Er war Cousin und Schwiegersohn des Propheten Muhammed. Ausführliche Informationen zu Imam Ali wurden schon oben angegeben.
Hasan (624–670 n.Chr.): ist der älteste Sohn von Imam Ali und Fatma Ana. Er ist in der Stadt Medina geboren und im Jahr 670 vergiftet worden. Nach dem Tod seines Vaters Imam Ali wurde Hasan von vielen als Kalif und Imam anerkannt. Doch Muawiye (Stadthalter von Damaskus und Anführer der Umayyaden Clan) beanspruchte das Recht des Kalifats für sich und ließ Hassan politisch isolieren. Um weitere Unruhen und das Blutvergießen zu vermeiden, verzichtete er auf das Kalifat und spielte damit keine aktive Rolle im politischen Leben.
Hüseyin (626–680 n.Chr.): ist der zweite Sohn von Imam Ali und Fatma Ana. Er wurde in der Stadt Medina geboren und 680 n. Chr. in Karbala (türk. Kerbela), ein Gebiet im heutigen Irak, mit seiner Gefolgschaft erbarmungslos umgebracht. Imam Hüseyin zeigte in der islamischen Geschichte eine beispiellose Widerstandsleistung gegen die Ungerechtigkeiten von Yazid (türk. Yezid), ein Machthaber aus dem Umayyaden-Clan, der die Machtmechanismen zum Vorteil für seinen eigenen Clan ausnutzte und das Volk aus sozial schwachen Schichten unterdrückte.
Nach dem Muawiye (türk. Muaviye), der erste Umayyaden-Kalif seinen Sohn Yazid zum Kalifen ausgerufen hatte, war Imam Hüseyin gezwungen die Stadt Medina zu verlassen. Imam Hüseyin erhielt zeitgleich eine Einladung von den Einwohnern der Stadt Kufa und machte sich mit seiner engen Gefolgschaft und Familienmitgliedern, bestehend aus insgesamt aus 72 Menschen, auf dem Weg.
Als sie die Ortschaft „Karbala“ am Fluss Euphrat erreichten, erwartete sie dort eine voll ausgestatte 5000 Mann starke Arme von Yazid. Er verlangte von Imam Hüseyin die offizielle Anerkennung als Kalif (türk. Biat) und Unterwerfung. Imam Hüseyin wurden auch materielle Vorteile in jeder Hinsicht angeboten. Aber all diese Angebote konnte Hüseyin mit seiner Weltsicht und seinen Chartereigenschaften nicht vereinbaren. Es kam dann zu einem heftigen Gefecht zwischen beiden Seiten. Außer dem jüngsten Sohn von Imam Hüseyin (Zeynel Abidin) überlebt keiner dieses Massaker in der Provinz Karbala. Nach dem alevitischen Glauben ist das Überleben von Zeynel Abidin ein Geschenk Gottes, weil nur durch dieses erfreuliche Ereignis, das Imamat (Nachkommenschaft des Propheten Muhammed) über die Blutslinie von Imam Hüseyin fortgeführt werden konnte. Jedes Jahr gedenken die Aleviten dem Martyrium von Karbala und verfluchen Yazid. Sie danken Gott dafür, dass Imam Zeynel Abidin das Massaker von Karbala überleben konnte und fasten im Monat Muharrem und erweisen somit allen Imamen ihre Ehre.
Zeynel Abidin (659–713 n.Chr.): ist der Sohn von Imam Hüseyin und wurde in der Stadt Medina geboren. Er überlebte als einziger das Massaker von Karbala und hielt sich von der Politik ganz fern. Vielen Quellen zufolge verlor er sein Leben durch eine Vergiftung in Medina.
Muhammed Bakır (676–733 n. Chr.): ist der von Sohn Zeynel Abidin und kam in der Stadt Medina auf die Welt. Nach dem sein Vater vergiftet worden war, wählte ihn die Gemeinde zum fünften Imam. Muhammed Bakir wagte sich mehr in das politisches Geschehen und versuchte die Nachfolger der Prophetenfamilie zu organisieren. Da er als Hadithen-Aufzeichner (Aussprüche des Propheten) und gebildeter Mann großen Einfluss hatte, spielte er eine bedeutende Rolle bei der Begründung neuer religiöser Strömungen. Laut den Quellen wurde auch Imam Bakir vergiftet.
Cafer-i Sadık (702–765 n. Chr.): kam als Sohn von Imam Muhammed Bakir in der Stadt Medina auf die Welt. Nach der Ermordung seines Vaters übernahm er die Verantwortung über die Gemeinde und wurde zum sechsten Imam gewählt. Imam Cafer- i Sadik hat aufgrund seiner theologischen Ansichten (Das Buch „Buyruk“) eine besondere Stellung im Alevitentum und gilt als einer der bedeutendsten Imame. Schon in jungen Jahren besuchte er die von seinem Vater gegründete Schule und genoss eine tiefgreifende Bildung. Er galt als sehr weise und wirkte vor allem als Theologe, Hadith-Aufzeichner, Rechtsexperte und Wissenschaftler. Cafer-i Sadik beschäftigte sich nicht nur mit religiösen Themen, sondern war auch zu seiner Zeit einer der bekanntesten Naturwissenschaftler im Bereich der Astronomie, Medizin und Mathematik. Als Oberhaupt der Gemeinde und brillanter Gelehrter konnte Cafer-i Sadik seine theologischen Ansichten verbreiten und vertiefen. Somit entstand auch eine eigene islamische Schule (Cafer-i Schule), die nach ihm benannt wurde. Auch die meisten alevitischen Geistlichen und Gelehrten, wie z.B. die sogenannten sieben großen Dichter bekannten sich als „Caferi“, um ihm ihren Respekt zu erweisen. Auf Imam Cafer- i Sadik wird auch das Buch „Buyruk“ zurückgeführt, das bis heute als eines der Hauptquellen im Alevitentum gilt.
Cafer-i Sadık war stets bemüht, die zu seiner Zeit verloren gehenden islamischen Werte und Prinzipien neu zu beleben und sie dem Volk nahe zu bringen. Er wurde leider während der Regierungszeit des Kalifen Mansur von einem durch ihn beauftragten Mörder vergiftet.
Musa Kazım (745–799 n. Chr.): ist der Sohn von Cafer-i Sadık und wurde in der Stadt Medina geboren. Er wurde von seinem eigenen Vater unterrichtet und war dementsprechend in der islamischen Theologie sehr gut ausgebildet. Nach dem Tod von Cafer-i Sadik hat die Mehrheit der Gemeinde, den charismatischen Musa Kazim anerkannt und ihn als Führer der Gemeinde gewählt. Ihn zeichnete am meisten die Nähe zum Volk aus. Er lebte bescheiden und hat sich für das ärmere Volk aus sozial schwachen Schichten stark eingesetzt.
Obwohl Musa Kazim ein friedliches Leben führte, wurde er von dem Kalifen Harun Rasid als Bedrohung wahrgenommen und in den Kerkern von Bagdad eingesperrt. Laut den meisten Quellen wurde er gefoltert und verlor dadurch sein Leben.
Ali Rıza (765–818 n. Chr.): kam als Sohn von Musa Kazım in der Stadt Medina auf die Welt. Imam Ali Riza musste schon in jungen Jahren aufgrund der damaligen Machtstrukturen der Abbasiden-Dynastie viele schmerzhafte Erfahrungen machen. Er musste seine Familie in Medina zurücklassen und wurde nach Horasan (Eine Gegend im Nord Osten des Irans) ins Exil geschickt. Dort wurde er von den Machthabern der Abbasiden ermordet. Bevor er von Medina nach Horasan geschickt wurde, erklärte er seinen Sohn Muhammed Taki zu seinem Nachfolger. Die Grabstätte von Ali Riza befindet sich im Iran in der Stadt Meschhed, die auch von den alevitischen Geistlichen öfter besucht wird.
Muhammed Taki (811–835 n. Chr.): wurde als Sohn von Imam Ali Riza in der Stadt Medina geboren und wurde sehr jung zum neunten Imam ausgerufen. Trotz seines jungen Alters war er sehr weise und in der Gemeinde sehr beliebt. Auch von anders Gläubigen wurde er als geistlicher Führer anerkannt. Bevor er durch die Machthaber in jungen Jahren vergiftet wurde, erklärte er seinen Sohn Ali Naki zu seinem Nachfolger.
Ali Naki (828–868 n.Chr.): kam als Sohn von Muhammed Taki auf die Welt. Schon als Kleinkind wurde er auf seine Funktion als Imam vorbereitet und erzogen. Genauso wie seine Ahnen wurde er durch die Machthaber der Abbasiden-Dynastie nicht in Ruhe gelassen. Obwohl er politisch nicht aktiv war, wurde er von den damaligen Herrschern in die Stadt Samarra (Irak) verschleppt, dort gefoltert und im Jahr 868 vergiftet.
Hasan ül Askeri (846–874 n. Chr.): ist der Sohn von Ali Naki. Wie seine Vorgänger wurde auch er nicht verschont. Imam Hasan ül Askeri erlebte auch Unterdrückung, Folter und den Machtkampf der herrschenden Klassen. Er starb im Jahr 874 durch eine Vergiftung. Laut dem alevitischen Glauben ließ er seinen Sohn Imam Mehdi zurück, der als Erlöser betrachtet wird und zur gegebenen Zeit auf der Welt die Gerechtigkeit herstellen soll.
Muhammed Mehdi (869 n.Chr. – ): Muhammed Mehdi kam in der Stadt Samara als Sohn von Hasan ül Askeri auf die Welt. Hasan ül Askeri verschwieg die Geburt von Muhammed Mehdi bis zur letzten Sekunde, um ihn von der abbasidischen Herrschaft zu schützen. Denn diese wollten um jeden Preis die Nachkommenschaft von Imam Ali und Fatma Ana ausrotten.
Nach alevitischer Vorstellung zufolge ging Muhammed Mehdi nach dem Tod seines Vaters Hasan ül Askeri in die „Verborgenheit“ (Gayb) ein und wurde nie wiedergesehen. Die mythologische Erzählung besagt, dass er als „Retter“ (Mehdi) irgendwann zurückkommen wird, um die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt zu vernichten und ein Reich der Gerechtigkeit zu gründen.
Haci Bektas Veli (ca. 1209 -1295)
Haci Bektas Veli gilt als einer der tragenden Säulen im Alevitentum und zählt zu den wichtigsten Persönlichkeiten, die die alevitische Theologie, Lebensphilosophie, das Menschenbild und die Ethik maßgeblich beeinflusst haben.
Er war ein islamischer Mystiker (türk. Sufi) aus Chorasan ( türk. Horosan), der im 13. Jahrhundert in Anatolien lebte und eine entscheidende Wirkung auf die Entwicklung des Alevitentums hatte. Laut der mystisch erzählten Biographie, die in dem Buch „Velayetname“ beschrieben wird, geht sein Stammbaum bis auf den siebten Imam Musa Kazim zurück. Somit stammt er nach dem alevitischen Glauben aus der Familie des Propheten Muhammed und wird als Geistlicher hoch verehrt.
Haci Bektas Veli ist in der Stadt Nischabur (türk. Nisabur) bei der Provinz Chorasan, das im heutigen Iran liegt, zur Welt gekommen. Schon in seiner Jugendzeit kam er mit der islamischen Mystik in Berührung und wurde von vielen Gelehrten der sogenannten Chorasan-Schule (Horasan Okulu) in theologischen, philosophischen, sozialen und naturwissenschaftlichen Themen unterrichtet.
Wie die meisten Gelehrten seiner Zeit musste er leider auf Grund der mongolischen Invasionen, die vom 11. bis zum 13. Jahrhundert andauerten, seine Heimat verlassen. Zusammen mit seinem Bruder Mentes begab er sich während der Invasion der Mongolen, das auch zum Zerfall des seldschukischen Reiches führte, nach Anatolien. Im seldschukischen Reich kam es immer wieder zu Volksaufständen, die sich gegenüber den Tyrannen der herrschenden Schichten richtete. Bei dem Aufstand von Baba Ishak um das Jahr 1240 in der Provinz Amasya kam sein Bruder Mentes ums Leben. Haci Bektas Veli überlebte diesen Aufstand und ließ sich nach der Niederlage des Aufstandes in einem Dorf namens Sulucakarahöyük nieder. Dieser Ort liegt in der heutigen Türkei im Provinz Nevsehir und wurde später nach seinem Ableben „Hacibektas“ genannt. In kürzester Zeit fand er dort die Möglichkeit, Gleichgesinnte um sich zu sammeln und das Grundgerüst seiner Glaubenslehre systematisch aufzubauen. Es wurde in Sulucakarahöyük ein Kloster errichtet, in der aus unterschiedlichen Gebieten viele Schüler kamen und Unterricht erhielten. Später haben Wanderderwische und Prediger seine Lehre vor allem in Anatolien und im Balkan weit verbreitet. Einer der bekanntesten unter ihnen war der dichtende Derwisch des Bektaschi-Orden, Yunus Emre, der die Lehren von Haci Bektas Veli in unzähligen Gedichten festhielt.
Obwohl die damalige Gelehrtensprache arabisch war, predigte Haci Bektas Veli in der türkischen Sprache. Dies erzeugte in der Bevölkerung Sympathie und die Menschen konnten ihre Gebete in der eigenen Muttersprache abhalten. Die religiöse Auffassung und Gedanken von Haci Bektas Veli, waren für seine Zeit revolutionär. Sie waren nicht nur für die islamische Bevölkerung attraktiv, sondern auch für Angehörige vieler verschiedener Religionen ein Anziehungspunkt. Vor allem war es wohl der Humanismus, die Toleranz und die Liberalität in seiner Lehre, die die Menschen anzogen. Er betrachtete alle Menschen gleich und machte keine Unterschiede aufgrund der religiösen, ethnischen und geschlechtlichen Zugehörigkeit. Menschenliebe und Naturverbundenheit gehörten in seiner Glaubenslehre zu den Haupterziehungszielen. Er lehrte, Frauen mit Respekt zu behandeln und schrieb vor, dass sie an allen religiösen Zeremonien teilnehmen durften. Nach seinem Verständnis kann sich der Mensch nur durch einen grundlegenden Erziehungs- und Bildungsprozess zu einem Insan-i Kamil (Vollkommen entfalteter Mensch) entwickeln.
Nach ihm ist auch die Bektaschi-Derwisch-Orden (Bektasi Tarikati) benannt, die aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von ihm selbst, sondern von Balım Sultan (Ein Nachfolger von Haci Bektas Veli) gegründet wurde.
Im heutigen Bektaschitentum gibt es zwei verschiedene Gruppierungen, die wie folgt benannt werden:
- Babagan Bektaschis
- Dedegan Bektaschis
Letztere behaupten, nicht nur geistige, sondern auch genetische Nachfahren des Haci Bektas Veli zu sein. Die Babagan Bektaschis stellen keine genetische Verbindung her und verstehen sich als geistige Nachfolger von Haci Bektas Veli. Abgesehen von diesen beiden Gruppierungen wird Haci Bektas Veli im Alevitentum als heiliger Großmeister verehrt und als „Hauptbrunnen (türk. Sercesme)“ der Erkenntnis und Weisheit bezeichnet.
Da es im Erziehungskonzept des Alevitentums darum geht, den Weg zum vollkommenen Menschen zu ebnen, wird dem Haci Bektas Veli in diesem Kontext als Wegbereiter eine tiefe Verbundenheit entgegengebracht. Das religionspädagogische Konzept, was als „4 Kapi 40 Makam (4 Tore und 40 Stufen) bezeichnet wird und das ethische Prinzip „Eline, diline, beline sahip ol“, also Zügelung der Hände, der Zunge und der Lende bezüglich unerwünschter Verhaltensweisen, geht auch auf Haci Bektas Veli zurück. Das Hauptwerk von Haci Bektas Veli, in dem all diese Gedanken enthalten sind, heißt „Makalat“ und es gehört zu einem der Hauptklassikern im Alevitentum.
Das Mausoleum von Haci Bektasch Veli befindet sich in der Provinz Nevşehir in der Türkei und ist ein Wallfahrtsort für Aleviten.
Einige Sprüche von Haci Bektas Veli
- Das Universum ist die sichtbare Gestalt Gottes.
- Andere haben die Kaaba, meine Kaaba ist der Mensch.
- Ein Weg ohne Wissen führt in die Dunkelheit.
- Das Licht der Augen kommt aus dem Herzen.
- Rituelle Gebete machen keinen Menschen besser.
- Die Taten zählen, nicht die Worte.
- Betet nicht mit den Knien, sondern mit dem Herzen.
- Das wichtigste Buch zum Lesen ist der Mensch.
- Glücklich ist, wer die Gedankenfinsternis erhellt.
- Ermögliche den Frauen eine gute Bildung.
- Es gibt kein Gegeneinander von Gott und Mensch, sondern ein Miteinander in tiefer Verbundenheit.
- Rost glüht nicht von selbst, sondern durch das Feuer. Der Verstand sitzt im Kopf, nicht in der Krone. Was Du suchst, findest Du in Dir selbst, nicht in Jerusalem, nicht in Mekka.
Yunus Emre (ca. 1238-1320 n. Chr.)
Yunus Emre ist ein großer Vertreter des Sufismus und gleichzeitig ein sehr beliebter Dichter bei allen türkischen Muslimen. Er ist einer der wichtigsten Wegbereiter des Alevitentums in Anatolien. In für jeden verständlichen Versen drückt dieser große türkische Volksdichter seine mystischen Erfahrungen aus. Im Zentrum dieser Erfahrungen steht dabei die Gottesliebe. Diese Gottesliebe verbindet er weltoffen mit Fragen des Friedens, der Freundschaft und der Toleranz. Yunus Emre wurde um das Jahr 1238 unserer Zeitrechnung in Zentralanatolien geboren und starb um das Jahr 1320. Seine Jugend verbrachte er in einem kleinen Dorf.
Schon früh beschäftigte er sich mit theologischen Themen und dem Geheimnis der Schöpfung. Er erkannte, dass die Sorgen der Menschen nicht nur eine Last darstellen, sondern auch zum Medium werden, das kreativ macht. Denn wenn die Menschen Sorgen haben, bemühen sie sich um Abhilfe. Im Deutschen passt hier der Spruch: „Not macht erfinderisch“. Es wird erzählt, dass Yunus zur Zeit einer Hungersnot zu Haci Bektas Veli ging, um ihn um Getreide zu bitten. Haci Bektas Veli fragte ihn, ob er einen Wagen Getreide haben oder lieber Weisheit erlangen wolle. Wegen des hungernden Volkes entschied sich Yunus für das Getreide. Erst viel später wurde ihm klar, dass Weisheit das größere Gut sei. Und so ging er erneut zu Haci Bektas Veli und bat um Weisheit.
Dieser schickte ihn darauf zu Taptuk Emre (Anhänger von Haci Bektas Veli), der sein Lehrmeister wurde. Dort lernte er, die Sorgen der Menschen durch mystische Philosophie zu einer kreativen Lebenskraft zu machen. Das körperliche sei vergänglich und nur Schein. Aber im Menschen brenne ein Feuer, das ihn als beseelte Materie die Ewigkeit erfahren lasse. Das Brennmaterial dieses Feuers sei die Liebe. Unterschiede zwischen Ethnien, Religionen und auch das Verhältnis der Geschlechter würden sich in diesem Feuer auflösen. Seine Philosophie, eingeflossen in seine Gedichte, genießt bis heute bei den Aleviten und auch bei den Muslimen im türkischen Kulturraum große Zustimmung und Beliebtheit.
Die sieben großen Dichter (türk. 7 ulu ozanlar)
Die sogenannten 7 Großen Dichter: Seyyid Nesîmî, Fuzulî, Şah Hatayî, Pir Sultan Abdal, Kul Himmet, Viranî und Yemînî spielen in der alevitisch-bektaschitischen Poesietradition eine fundamentale Rolle bezüglich der religiösen Auffassung im Alevitentum. Es ist nicht bekannt, wann und wer diese sieben als die wichtigsten Dichter des Alevitentums auswählte, aber sie haben sich in der Liturgie fest verankert. Die sieben großen Dichter gelten somit als Vermittler, die mit ihren Gedichten seit Generationen Alevitinnen und Aleviten den Weg zur menschlichen Vervollkommnung aufzeigten. Die Zahl 7 ist zudem ein Synonym für die Vielheit und Unermesslichkeit: Damit versinnbildlichen die 7 großen Dichter ein Teil des Ganzen; sie stehen stellvertretend für alle alevitisch-bektaschitischen Dichterinnen und Dichter, die mit ihren Werken das Wissen über das Alevitentum über Jahrhunderte hinweg bis zum heutigen Tag an uns weitergetragen haben. Im Folgenden sollen sie kurz vorgestellt werden.
Seyyid Nesîmî (14. Jahrhundert) war ein Mystiker aus dem heutigen Aserbaidschan, der dem Orden der Hurûfiyye angehörte. Der Terminus „Hurûf“ ist arabisch und ist der Plural von „Harf“ und trägt somit die Bedeutung „Buchstaben“ bzw. die Gnosis der Buchstabenbildung. Die Hurûfiyye, gegründet von Fazlullah Astarabadi (1339 – 1394), war von klaren schiitischen Elementen gekennzeichnet, in denen Imam Ali und den zwölf Imamen eine überragende Heiligkeit zugesprochen wurde. Nesîmî beschritt einen Ordenspfad, in der Buchstabensymbolik eine außerordentlich große Rolle spielte. Demnach besteht bzw. gründet alles Sein auf göttliche Buchstaben, die sich in vollkommenster Weise im Menschen manifestieren. Trotz seiner Zugehörigkeit zu einem mystischen Orden verstand Nesîmî sich ebenfalls in den Fußstapfen von Hallac-ı Mansûr, der den Ausruf „Ene’l Hak!“ (zu Deutsch: „Ich bin die absolute Wahrheit!“) von neuem verkündete. Von islamischen Pharisäern wurde er aufgrund einer Fetwa zur Exekution verurteilt. So wurde er 1418 in Aleppo (heutiges Syrien) bei lebendigem Leibe gehäutet und somit exekutiert.
Fuzulî (15. Jahrhundert) hatte aserbaidschanische Wurzeln. Den Großteil seines Lebens soll er im heutigen Irak verbracht haben, wo er bei den Mausoleen von Imam Ali (in Necef) und von Imam Hüseyin (in Kerbela) seinen Dienst abgeleistet haben soll. Fuzulî hinterlässt der Nachwelt u.a. das Hadîqatu’s-Su‘adâ (zu Türkisch: „Saadetlere Ermişlerin Bahçesi“, zu Deutsch: „Der Garten der Erkenntnisträger“). Da es vor allem das Martyrium des Prophetenenkel Imam Hüseyin bei Kerbela beinhaltet, wird es jährlich zum Monat Muharrem seitens der Aleviten und Bektaschiten bei Zusammenkünften vorgetragen.
Şah İsmail Hatayî (1487 – 1526 n. Chr.), gründete das Reich der Safawiden, welches die Region des heutigen Iran bis in die Ost-Türkei abdeckte. Die Namensbezeichnung Safawi stammt von dem Name „Safi“ ab. Der Stammbaum von Şah Hatayî geht auf Şeyh Safiyyeddîn Ishak Erdebilî (1212 – 1334) zurück, der Anfang des 14. Jahrhunderts den Sufiorden der Safawiyya gründete. Ihm wird auch ein Sendschreiben namens „Şeyh Safi Buyruğu“ zugeschrieben, welches unter Aleviten eine hohe Bedeutung genießt. Der Begriff „Kızılbaş“ (zu Deutsch: „Rotschopf“) wird u.a. auf das Elitemilitär der Safawiden zurückgeführt: Die safawidischen Soldaten trugen charakteristische rote Kopfbedeckungen. Obwohl Şah Hatayî als Şâh Ismail ein König war, hatte er auch die Persönlichkeit eines Derwischs. Unter dem Synonym Hatayi (zu Deutsch: „Der Fehlerhafte“) verfasste er so genannte „Nefesler“ (zu Deutsch: „Atemzüge“), die für Außenstehende schlichtweg als Gedichte gedeutet werden. In diesen Gedichten wird klar, dass Şah Hatayî ein Befolger des alevitischen Pfades war und dass trotz seines königlichen Wesens, weltliche Güter niemals Einlass in sein Herz fanden. Er verstarb 1524 in der Stadt Erdebil (heutiges Nord-Iran), in der sein Mausoleum errichtet wurde.
Pir Sultan Abdal (1480 – 1550 n. Chr.) ist wohl der Bekannteste in der Reihe der alevitischen Dichtertradition. Aus einigen seiner Gedichte (Nefesler) geht hervor, dass sein eigentlicher Name Koca Haydar sei und seine Vorfahren ursprünglich aus Jemen stammten. Der Begriff „Pîr“ ist persisch und bedeutet eigentlich „alter weiser Mann“, was an die Begrifflichkeiten „Şeyh“ (arabisch) oder „Dede“ (türkisch) erinnert, welche ebenfalls dieselbe wortwörtliche Bedeutung haben, jedoch im übertragenen Sinne das Amt einer geistigen Position ausdrücken. „Sultan“ steht für das Herr-Sein über die eigene niedere Triebseele („nefs“), während „Abdal“ (zu Deutsch: „Ersatzleistung“ bzw. „Derjenige, der das Weltliche durch das Geistige ersetzt hat“) der Name einer Derwischbewegung in Anatolien ist. Den Überlieferungen zufolge wurde ein verwitweter einfacher Mann namens Hızır ein Talip (zu Deutsch: „Schüler auf dem alevitischen Ordenspfad“) des Koca Haydar und erfüllte seinen Dienst an dem Dergâh (zu Deutsch: „Konvent“, „Kloster“) im Dorfe Banaz (Banaz liegt im heutigen Türkei in der Stadt Sivas). Eines Tages fragte Hızır seinen Meister in Istanbul an einer hohen Ausbildung teilzunehmen, um später mit der Kraft seines Amtes seinem Volk besser dienen zu können. Pîr Sultan gab ihm die Erlaubnis, prophezeite Hızır jedoch, dass dieser später seinen Meister exekutieren lassen werde. Tatsächlich unterzeichnete Hızır als eingesetzter Pascha hohen Ranges einen Erlass, Pîr Sultan wegen dessen angeblicher geheimer Verbindungen zum Safawiden-Reich zu erhängen.
Kul Himmet lebte im 16. Jahrhundert und stammte aus dem Landkreis Almus in der Provinz Tokat. Laut den Gedichten (Nefesler), die ihm zugeschrieben werden, ist er ein Derwisch des Pîr Sultan Abdal gewesen. Die Natur seiner Dichterkunst erinnert stark an Pîr Sultan Abdal. Nachdem Kul Himmets Meister gehängt wurde, hielt dieser sich mehrere Jahre verdeckt. In der späteren Zeit erschien ein weiterer Dichter, der sich „Kul Himmet Üstadım“ nannte. Dieser Dichter heißt jedoch in Wirklichkeit Sivas`lı İbrahim und darf mit dem eigentlichen Kul Himmet nicht verwechselt werden. Sivas´lı İbrahim hat aus Bewunderung gegenüber Kul Himmet dessen Synonym übernommen und es um „Üstadım“ (zu Deutsch: „mein Meister“) erweitert. Man kann daraus ableiten, dass es sowohl direkte als auch indirekte Schüler der alevitisch-mystischen Dichter gab, die sich als das Erbe ihrer Meister und des alevitischen Weges ansahen.
Viranî (16. Jahrhundert) war ein Vorsteher eines Bektaschi-Konvents in Necef (Irak) beim Mausoleum Imam Alis. Man sagt ihm eine Verbindung zum persischen Şah Abbas I. (1587 – 1628) nach. Viranî (zu Deutsch: „Der Zerrüttete“) spricht in seinen Versen klar über die göttlichen Attribute, die sich in Imam Ali manifestieren. Dieser Dichter, der klare Bezüge zur Hurufiyye hat, hinterlässt einen Divan und eine Risale (zu Deutsch: „Sendschreiben“).
Yemînî hat im 16. Jahrhundert gelebt und hieß mit tatsächlichen Namen Fazıloğlu Mehmet oder auch anderen Quellen zufolge Ali. In einem Konvent eines Akyazılı İbrahim Dede hat er seinen Dienst geleistet und soll dort den Ordensnamen „Yemînî“ (zu Deutsch im übertragenen Sinne: „Der Rechtmäßige“) erhalten haben. Dieser Dichter, der ebenfalls ein Hafız war, also jemand, der den Koran auswendig beherrschte, hinterlässt der literarischen Nachwelt das Faziletname (zu Deutsch: „Das Buch der Tugenden“), welches die Tugenden und Werte des Imam Ali behandelt.
Verfasst von:
Bülent Korkmaz – Dipl. Sozialpädagoge (Bildungsbeauftragter der Alevitischen Gemeinde Duisburg von 2014 – 2019)
Verwendete Quellen:
• Aksüt, Hamza: Aleviler, Ankara 2012, Yurt Kitap Yayın
- Alevitische Gemeinde Duisburg: www.alevi-du.com.
- Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. (AABF), Das Alevitentum, Hrsg. AABF (verfasst: von Ismail Kaplan), Köln 2004.
- Buyruk: Hazirlayan Sefer Aytekin, Ankara 1958, Emek Basim-Yayimevi.
- Das Alevitentum – Informationen und Materialien für den Unterricht, Herausgegeben vom Landesinstitut für Schule (LfS) NRW, In Zusammenarbeit mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF)
- Das Gebot (türk.: Buyruk, einer der schriftlichen Hauptquellen im Alevitentum), veröffentlicht in der deutschen Sprache von Prof. Dr. Fuat Bozkurt, Hamburg 1988. E.B.-Verlag Rissen.
- Dr. Bedri Noyan: Bektaşilik Alevilik Nedir?, Istanbul 1995, Ant Yayınları 3. Baskı.
- Gölpinarli, Abdülbaki: Vilayet-Name, Inkilap Yayinevi
• https://buelentkorkmaz.wordpress.com
- Kaptan, Remzi: Die Alevitische Lehre, Stuttgart 2016.
• Kehl-Bodrogi,Kristina: Kızıbaşlar/Aleviler, Istanbul 2012, Ayrıntı Yayınları.
- Korkmaz, Bülent: Aleviligin Inanc Ilkeleri, Istanbul 2014, Anadolu Ofset
- Korkmaz, Bülent: Riza Sehri`nin Cocuklari, Ankara 2018, Yurt Kitap-Yayin.
- Korkmaz, Bülent: Die Bewohner von Riza Sehri (Hrsg. Die Alevitische Gemeinde Duisburg e.V.), 1.Auflage 2017.
• Melikoff, Irene: Uyur idik Uyardilar, Istanbul 2009, Demos Yayinlari.
• Makalat-i Haci Bektas Veli: Hazirlayan Aziz Yalcin, Der Yayinlari.
- Özmen, Ismail: Alevi-Bektasi Siirleri Antolojisi 2.Cilt, Saypa Yayin Dagitim ve Kitapevi, 1995
• Öz, Baki: Alevilik Nedir?, Istanbul 2008, Der Yayinlari.
- Projekt „Telli Kuran“ (Die Texte wurden von Timuray Boyraz (Bochum) und Deniz Doğan (Solingen) verfasst.
- Ulusoy A., Celalettin: Yedi Ulular
- Ulusoy A., Celalettin: Hünkar Haci Bektas Veli ve Alevi Bektasi Yolu, Hacibektas 1980
- Yaman, Mehmet: Alevilik (Inanc, Edep, Erkan)
- Zum Profil alevitischer Kinder-und Jugendarbeit in NRW / Herausgeber: Das Paritätische Jugendwerk NRW, Wuppertal, 2006
- Zelyut, Riza: Öz Kaynaklarina Göre Alevilik